Anfänge des Informatikstudiums in Linz

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em.Univ.-Prof. Dr. Gerhard Derflinger
Wirtschaftsuniversität Wien
Professor an der Linzer Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften 1968 - 1972

Im Frühjahr 1969 hatte das Unterrichtsministerium den Entwurf eines neuen Gesetzes für technische Studien zur Begutachtung ausgesandt. Auch die Technisch-Naturwissenschaftliche Fakultät (TNF) der Hochschule Linz war um Stellungnahme ersucht worden. In dem Entwurf fehlte aber Informatik bzw. Computerwissenschaften. Aus heutiger Sicht ist es kaum zu fassen, dass den Technik-Professoren, die das Ministerium beraten hatten, damals der entsprechende Weitblick fehlte. Die TNF forderte vehement, die neue Studienrichtung Informatik ins Gesetz aufzunehmen.

Ich habe die Angelegenheit auch im Expertenkomitee der Akademie der Wissenschaften für EDV im wissenschaftlich-akademischen Bereich, dem ich angehörte, zur Sprache gebracht und angeregt, das Komitee möge sich für die gesetzliche Verankerung einer neuen Studienrichtung Informatik bzw. Computerwissenschaften einsetzen. (Hauptaufgabe des Komitees war die Beratung des Ministeriums bei der Koordinierung der Anschaffung von EDV-Anlagen für die Universitäten.) Ich fand Unterstützung durch das Komitee, vor allem aber auch durch Sektionsrat (später Sektionschef) Dr. Otto Drischel, dem Vertreter des Ministers bei den Sitzungen des Komitees, der dann auch unser Anliegen an den Minister weiterleitete.

Gut kann ich mich noch daran erinnern, als wir bei einer Sitzung des Komitees im Ministerium berieten, ob man die neue Studienrichtung Informatik oder Computerwissenschaften nennen soll. Schließlich entschieden wir uns für das kontinental-europäisch geprägte Informatik. Bei einem Empfang in Wien im Juni 1969 kam Kollege Franz Pichler auf mich zu und teilte mir mit, dass der ebenfalls anwesende Bundeskanzler Dr. Josef Klaus mit mir wegen der Einführung des Informatik-Studiums sprechen möchte. So konnte ich dem Herrn Bundeskanzler unsere Argumente vortragen. Wie Sie alle wissen, wurde Informatik tatsächlich noch ins Studiengesetz von 1969 aufgenommen. Sicher war Einfluss auch über andere Kanäle gekommen. Vor allem hatte Prof. Adam durch sein Linzer Informationstheoretisches Programm (LIP) in Linz den Boden hervorragend vorbereitet.

Im November 1968 haben Prof. Adam, Prof. Knapp und ich die TNF konstituiert und Prof. Adam zum Dekan gewählt. Dekan Adam drängte sehr, die Informatik in Linz schon zu Beginn des Studienjahres 1969/70 einzuführen. Im Juli 1969 besprachen er und ich, unter welchen Mindestvoraussetzungen das wohl möglich wäre. In einem Schreiben an Unterrichtsminister Dr. Mock formulierte Prof. Adam das Ergebnis unserer Beratungen als Voraussetzungen, unter denen wir es verantworten konnten, schon im Herbst 1969 mit dem Informatikstudium zu beginnen. Die diesbezüglichen Anträge lagen natürlich längst im Ministerium. Eine der Bedingungen war die möglichst rasche Errichtung eines Ordinariats für Informatik. Tatsächlich genehmigte das Ministerium diese Professorenstelle nur wenig später. Nach Erstellung des Berufungsvorschlags durch die Fakultät konnten die Berufungsverhandlungen mit Privatdozent Arno Schulz schon im Dezember 1970 aufgenommen werden. Auch unsere weiteren Wünsche wurden zum größten Teil erfüllt.

Für das Jahr 1971 hatte die Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Linz zunächst die Zuteilung von sechs weiteren neuen Ordinariaten durch das Ministerium angestrebt, je drei für jede der beiden Fakultäten. In einem Schreiben vom 23.12.1970 hat mich der Dekan der SoWiRe-Fakultät, Prof. Bauerreiss, scharf angegriffen, weil ich als Rektor plane, begleitet durch Landeshauptmann und Bürgermeister, bei Frau Minister Dr. Firnberg vorzusprechen, um dieses Verhältnis in 4:2 zu Gunsten meiner Fakultät zu ändern. (Ich war Rektor im Studienjahr 1970/71 und der erste Rektor, den die TNF stellte.) In meiner Antwort an Dekan Bauerreiss bekannte ich mich offen dazu, und zwar mit der Begründung, dass im Gegensatz zur Situation an der TNF an der SoWiRe keine Studienrichtung in ihrer Existenz bedroht wäre.

Die Vorsprache bei Frau Minister fand am 29.12.1970 statt. Es waren auch Prorektor Strasser und die beiden Geschäftsführer des Hochschulfonds anwesend. Aber sechs neue Ordinariate schienen nicht erreichbar. Landeshauptmann Dr. Gleißner versicherte der Frau Minister, dass im Falle einer Zuteilung von fünf Professorenstellen an die Hochschule Linz eine Studentendemonstration nicht zu erwarten wäre. Über eine Aufteilung an die beiden Fakultäten wurde nicht gesprochen. Es kam aber dann doch anders. Und das war ein großes Verdienst von Dekan Lansky!

Durch Überzeugungsarbeit im Ministerium, wobei immer die leichte Drohung einer Demonstration von Linzer Studenten vor dem Ministerium im Raum stand, war es unserem Dekan gelungen, zu bewirken, dass 1971 der TNF fünf (!) neue Ordinariate zugeteilt wurden, unter diesen zwei für Informatik. (Nach meinem Abgang im März 1972 konnte auch mein Ordinariat für Statistik in Informatik umgewidmet werden.) Es war einer meiner schönsten Augenblicke, als ich im Mai 1971 das Schreiben der Frau Minister geöffnet hatte und die offizielle Mitteilung lesen konnte, dass der Hochschule Linz im Jahr 1971 sieben neue Ordinariate zugeteilt werden, zwei der SoWiRe und die erwähnten fünf der TNF.

Der Linzer Hochschulfonds erhob jedoch - speziell in den ersten Monaten meines Rektorats -, schwere Vorwürfe gegen uns, weil wir durch die Einführung des Informatikstudiums gegen den Entwicklungsplan der TNF verstoßen hätten. Ein solcher Plan war aber der Fakultät nie zur Verfügung gestellt worden, auch keinerlei Bericht über die Vorarbeiten vor deren Konstituierung. Meine wiederholten Ersuchen, uns doch den Entwicklungsplan zu übermitteln, blieben erfolglos. Die Lektüre von "Linzer Kulturpolitik miterlebt und mitgestaltet (1963-1974)" von Hans Kreczi, Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 1993, herausgegeben vom Archiv der Stadt Linz, 1994, Seite 335, brachte mir die Erklärung: Der Linzer Hochschulfonds hatte Prof. Hans Linser (Gießen) so gigantisch planen lassen, dass man es nicht wagen konnte, seinen Entwicklungsplan der Öffentlichkeit vorzustellen. Das Büchlein in dem dieser niedergeschrieben war, wurde unter Verschluss gehalten.

Ich glaube es war im November 1970, da wurde ich zu einer Besprechung mit den beiden Geschäftsführern des Hochschulfonds und deren beiden Stellvertretern eingeladen. Als Erstes wollten sie von mir über das, was besprochen werden sollte, ein Schweigegelübde haben. Das habe ich entschieden abgelehnt. So gingen wir nach wenigen Minuten im Streit und ohne Handschlag auseinander. Hätte ich mitgespielt, hätte man mich wahrscheinlich eingeweiht. Wie weit Prof. Adam informiert war, weiß ich nicht. Aber sonst kannte meines Wissens niemand in der TNF den Entwicklungsplan von Prof. Linser. Man wusste bloß - und auch eher nur vom Hörensagen - dass die Studien in der zeitlichen Reihenfolge Mathematik, Physik, Chemie, ... eingeführt werden sollten. Mein offensichtlich irreparabel gestörtes Verhältnis zum Hochschulfonds, der aufgrund des Hochschulfonds-Gesetzes viel Einfluss hatte, war das wesentliche Motiv dafür, dass ich 1972 den Ruf an die Hochschule für Welthandel angenommen hatte.

Nachdem das Konzept Linser ad acta gelegt worden war, planten Prof. Hengge (Graz) und Prof. Macke im Auftrag des Hochschulfonds den Chemieturm. Prof. Hengge den Bereich für Chemie, Prof. Macke den für Physik. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass sich die beiden Bereiche beträchtlich überschnitten, übergab der Hochschulfonds im November 1969 die Angelegenheit der TNF und setzte eine sehr kurze Frist für die Bereinigung der Widersprüche. Man drohte damit, dass gar nicht gebaut würde, sollte diese Frist überschritten werden. Die Fakultät bevollmächtigte mich zum Baubeauftragten für den Chemieturm (später in TNF-Turm umbenannt). Ich hatte nur wenige Wochen Zeit. Soweit ich mich erinnere, habe ich die Chemie-Zentralbibliothek und die Chemikalien-Ausgabe verlegt und Büroräume in Labors umgewandelt. (Ich bin promovierter Chemiker und habe bis in die 90-er Jahre auch chemische Arbeiten veröffentlicht.) Obwohl uns schon klar war, dass zumindest in der ersten Zeit im TNF-Turm auch andere Institute, vor allem Informatik-Institute, untergebracht werden müssen, habe ich im Sinne des Hochschulfonds für Chemie und Physik geplant, um die Errichtung des Gebäudes nicht infrage zu stellen.

Dem Expertenkomitee der Akademie der Wissenschaften für EDV im wissenschaftlich-akademischen Bereich wurde im Frühjahr 1968 der Antrag der Hochschule Linz für eine EDV-Anlage IBM 1130 vorgelegt. Ich war noch nicht nach Linz berufen, aber hatte dort den Lehrauftrag "Einführung in die Programmierung digitaler Rechenanlagen" (Das war die erste computerbezogene Lehrveranstaltung in Linz.) und den Ruf in Aussicht. Es war nur ein sehr langsamer Kartenleser kombiniert mit einem Kartenstanzer vorgesehen. Aber ich konnte leicht erreichen, dass das Ministerium noch zusätzlich einen recht schnellen Kartenleser finanzierte.

Ich freue mich sehr über die großartige Entwicklung der Informatik in Linz und wünsche ihr sowie der gesamten Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät auch weiterhin viel Erfolg.

Gerhard Derflinger
Juni 2009